Englisch vs. Französisch: Wie die Sprachgeschichte unser Lernen beeinflusst
Vor ein paar Monaten haben meine KlassenkameradInnen und ich die sprachgeschichtliche Entwicklung des Neuhochdeutschen im Rahmen eines selbst organisierten Lernprojektes im Deutschunterricht mit Hilfe eines Dossiers und Aufgaben bearbeitet. Das Ziel war, einen Überblick zur deutschen Sprachgeschichte zu bekommen sowie das Erlernen des "selbständigen" Erarbeitens von Wissen.
Englisch, Französisch und Deutsch stammen alle aus der indoeuropäischen Sprachfamilie. Die ie. Ursprache spaltete sich vor ca. 7000 Jahren und es bildeten sich verschiedene Zweige. Deutsch und Englisch gehören beide zum Zweig der germanischen Dialekte, während Französisch zu den romanischen Dialekten gezählt wird. Da die romanischen Sprachen nur einen indirekten Einfluss auf die Bildung des Neuhochdeutschen hatten, war es kein Unterrichtsstoff, und ich werde nicht genauer darauf eingehen.
Die germanischen Dialekte entstanden durch das Aufeinandertreffen der indoeuropäischen Völker aus den nördlichen Steppen mit anderen Völkern wie beispielsweise den Megalithgräbern. Dabei entstand ein neuer Wortschatz. Nebst dem neuen Wortschatz geschah zudem die erste Lautverschiebung (auch germanische Lautverschiebung genannt), welche den wichtigsten Unterschied zwischen den germanischen und den übrigen indoeuropäischen Sprachen repräsentiert. Französisch gehört nicht zum germanischen Zweig und der französische Lautstand kann daher als Vergleichsebene zum ursprünglichen Indoeuropäischen sowie als Referenz für die Entwicklung des Germanischen dienen. Für die Bildung des Neuhochdeutschen erfolgte eine weitere Lautverschiebung (zweite Lautverschiebung genannt), während es beim Englisch bei der ersten Lautverschiebung blieb - also dem germanischen Lautstand. Darüber hinaus kamen weitere wichtige Veränderungen der Grammatik dazu, die die germanischen Sprachen von den restlichen indoeuropäischen Sprachen abheben. Hier eine Auflistung der wichtigsten Veränderungen, die wir in unserem Dossier behandelt haben: die Festlegung des ie. freien Wortakzents auf den Wortanfang, Bildung des schwachen Präteritums mit Hilfe des Dentalsuffixes sowie die systematische Anwendung des ie. Ablautsystems.
Während der Bearbeitung verstand ich, was meine Englischlehrerin vor ein paar Jahren meinte: "Englisch ist für euch einfacher als Französisch zu lernen, weil es sprachlich näher am Deutschen ist". Ich möchte darum im Folgenden die Frage (oberflächlich) klären, welchen Einfluss die Sprachgeschichte auf das Erlernen von Englisch und Französisch für uns Deutschsprechende hat.
Es lässt sich sagen, dass der grösste Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Englischen in einer Lautverschiebung liegt und der ursprüngliche Wortschatz beider Sprachen auf dem Germanischen basiert. Dabei ist zu beachten, dass Englisch viele Wörter französischen Ursprungs enthält, was auf normannische Einflüsse zurückzuführen ist. Neben der Lautverschiebung gibt es weitere sprachliche Entwicklungen, die Deutsch und Englisch im Wortschatz differenzieren, die hier jedoch nicht im Fokus stehen. Im Vergleich zum Verhältnis Deutsch - Englisch hat das Französische vom Lautstand her zwei Lautverschiebungen Unterschied zum Deutschen und zeigt nur in Wörtern, die auf das Indoeuropäische oder das Lateinische zurückgehen, erkennbare Ähnlichkeiten.
Während die Auswirkungen der Wortschatzdifferenzen - bedingt durch sprachgeschichtliche Entwicklungen - auf das Erlernen der beiden Sprachen leicht nachvollziehbar sind, gestaltet sich der Bereich der Grammatik etwas komplexer. Im Gegensatz zu den germanischen Sprachen hat das Französische nicht die Entwicklung durchlaufen, bei der sich der indoeuropäische freie Wortakzent auf den Wortanfang festlegte. In den germanischen Dialekten führte diese Akzentverschiebung zu einer Nebensilbenabschwächung, was wiederum dazu führte, dass es zum Beispiel keinen Unterschied mehr zwischen verschiedenen Verbendungen wie en/ôn/ên gab. Im Französischen hingegen blieb dieses System bestehen: Die Konjugation hängt davon ab, ob ein Verb auf er, ir, re usw. endet. Nimmt man das Beispiel "entendre", sieht man die re-Endung, während die Endung im Deutsch vereinfacht wurde und im Englisch ganz verschwunden ist: "hören" und "hear". Des Weiteren führte die Nebensilbenabschwächung dazu, dass sowohl im Deutschen als auch im Englischen nur noch zwei Tempora (Präsens und Präteritum) synthetisch gebildet werden, während die restlichen Tempora sowie auch der Modus überwiegend analytisch gebildet werden. Im Gegensatz dazu werden im Französischen fünf Tempora synthetisch gebildet und auch der Subjonctif besitzt synthetische Formen. Die Folge: All diese Formen müssen auswendig gelernt werden – im Englischen reicht hingegen das Erlernen der zwei Tempora und des Partizip Perfekts. Die Verbformen der beiden germanischen Sprachen unterscheiden sich zugleich vom Französischen durch die Bildung des schwachen Präteritums mit Hilfe des Dentalsuffixes. Die Verben, welche im Germanischen neu entstanden, sind schwache Verben und bilden das Präteritum, indem im Hochdeutsch dem Verbstamm "-te" und im Englischen "-ed/d" angefügt wird: Ein weiterer Punkt, welcher das Englischlernen vereinfacht, da es sowohl im Deutschen als auch im Englischen überwiegend schwache Verben gibt und die Bildung des Präteritums durch die Ähnlichkeit einfach ist. Im Französisch existiert diese Form der Tempusbildung nicht. Ferner werden die starken Verben, welche vom Indoeuropäischen übernommen wurden, in den germanischen Sprachen durch die systematische Anwendung des ie. Ablautsystems gebildet. Das bedeutet, dass die Tempusbildung durch eine innere Flexion markiert wird: reiten - ritt - geritten (nhd.) und ride - rode - ridden (engl.). Auch diese Ähnlichkeit zwischen Englisch und Deutsch fehlt im Französischen.
Tatsächlich gibt es also neben Gründen wie der immensen Präsenz von Englisch in den Medien sowie allgemein auf der Welt einen sprachgeschichtlichen Hintergrund, warum uns Deutschsprechenden Englisch leichter als Französisch fällt.
Lerndossier zur Sprachgeschichte von M. Beutler